Future Education Konferenzprogramm - Didaktische Werkstätten
Didaktische Werkstätten: Dieses Format dient der Präsentation von Unterrichtsmaterialien, die forschungsbasiert entwickelt, in der Praxis erprobt oder in empirischen Studien evaluiert wurden. Diese werden im Rahmen eines „Marktes“ auf der Konferenz angeboten und Interessierten jeweils 90 Minuten in betreuter Form zugänglich gemacht. Ein Angbot, das sich auch besonders an Praktiker:innen und Lehrer:innen wendet.
Didaktische Werkstätten - Teil 1 - Donnerstag, 05.09.2024: 9:00 - 10:30
WS 1: Materialentwicklung für niederschwellige Frauenkurse im Programm „Migrantinnen einfach stark im Alltag“
Der MiA-Kurs ist ein niederschwelliges Integrationsangebot des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge in Deutschland, um Frauen beim Ankommen und Einleben in Deutschland zu unterstützen, ihnen erste Deutschkenntnisse zu vermitteln und sie zu empowern. Der niederschwellige Unterrichtsansatz in den MiA-Kursen setzt stark auf bedarfs- und teilnehmerorientiertes Arbeiten, was die Verwendung von Lehrwerken erschwert.
Das Institut für Interkulturelle Kommunikation Berlin (IIK Berlin) entwickelte im Rahmen der vierjährigen Projektlaufzeit ein didaktisches Konzept für Lehr- und Lernmaterial der MiA-Kurse. Die in einem partizipatorischen Prozess entstandenen Materialien sind im MiA-Kurspaket 1 und 2 aufbereitet und für die Berufsgruppe der MiA-Kursleiterinnen zugänglich.
Die Herausforderung dabei war, den unterrichtlichen Erwerb der mündlichen Kompetenz zu fördern. Das nicht nur thematisch, sondern auch methodisch, indem die mündliche Kompetenz der Teilnehmerinnen als Ressource bewusst gemacht und lernunterstützend genutzt wird. Die vorliegenden Kursbände bieten MiA-Kursleiterinnen Wissen und Anleitung zu Themen wie Bewusstmachung der eigenen kulturellen Prägung, Lebensplanung, aber auch zu Schwerpunkten wie Lernen lernen. Sie tragen zur pädagogischen Bildung von MiA-Kursleiterinnen und damit zu deren Professionalisierung bei.
In unserem Beitrag werden Einheiten aus dem MiA-Kurspaket 1 und 2, dem Handbuch für Kurse im Programm „Migrantinnen einfach stark im Alltag“, vorgestellt. Die besonderen Bedingungen der Zielgruppe werden praxisnah beschrieben und die methodisch-didaktischen Ansätze mit Schwerpunkt auf Lernen in den Kursen thematisiert.
WS 2: Fundierte psychologische Erkenntnisse als Grundlage für die (digitale) Lehrgestaltung
In unserer sich ständig verändernden (zunehmend digitalen) Welt sind psychologische Erkenntnisse von großer Bedeutung, um hochschulisches Lehren und Lernen evidenz-informiert zu gestalten und die Erfolgschancen didaktischer Entscheidungen und Innovationen zu erhöhen. Lehrende verfügen wie alle Menschen über ein alltagspsychologisches Verständnis, in dem sie das Verhalten und Erleben ihrer Studierenden interpretieren, wahrnehmen und mit ihnen interagieren. Durch didaktische Gestaltung möchten Lehrende ihre Lehrveranstaltung möglichst gut auf das Lernen ihrer Studierenden ausrichten. Zur Differenzierung der Lernenden sind jedoch sogenannte Lerntypen (visuell, auditiv, haptisch etc.) weit verbreitet, was ein Mythos ist. Doch welche Studierendenmerkmale sind für die Lehrgestaltung relevant?
Die wissenschaftliche Psychologie bietet eine präzise und systematische Erfassung psychischer Phänomene wie Motivation, Intelligenz, soziale Wahrnehmung, Expertise, Gedächtnis etc. und erforscht diese u.a. im Anwendungsfeld der Lehre. Die AG "Psychologie und Lehr-Lern-Forschung" der Deutschen Gesellschaft für Hochschuldidaktik (dghd) unterstützt Lehrende durch den gezielten Transfer psychologischer Konzepte und Erkenntnisse auf konkrete Fragestellungen der Hochschullehre und trägt damit zur wissenschaftlichen Fundierung der Hochschullehre bei.
Im Rahmen der didaktischen Werkstatt stellen wir exemplarische Highlights unserer Arbeitsergebnisse vor, die als Lernmaterial in hochschul- bzw. fachdidaktischen Workshops oder als Input für lehrbezogene hochschulische Diskussionen verwendet werden können: z.B.
- Lernbezogene Wirksamkeit von Online-, Blended-Learning (inkl. Flipped Classroom) oder Präsenz?
- Innere Teilprozesse beim Lernen im Kontext unseres Gedächtnisses und der Selbststeuerungsfähigkeit der Studierenden als Basis für Lehrgestaltung
- Lernförderliche Gestaltung von Lernmaterialien (Video, Text, Podcast, VR/AR).
Unser öffentlich zugängliches Miroboard miro.com/app/board/uXjVNed1Q58=/ und unsere Website www.dghd.de/community/arbeitsgruppen/ag-psychologie-und-lehr-lern-forschung/ bieten erste Einblicke in die vielfältigen Bezüge zwischen Psychologie und Hochschuldidaktik.
WS 3: Diskriminierungskritische Reflexion in- und ausländischer Schulpraktika von Lehramtsstudierenden: Erfahrungen und Erkenntnisse aus Vorbereitungs- und Begleitseminaren
Im Rahmen des Projekts „Diversity Contexts in Teacher Education“ (DiCoT) werden Studierende auf ihr erstes Schulpraktikum im In- oder Ausland vorbereitet. Gegenstand dieser Vorbereitung ist die Reflexion von Diversität und professionellem Handeln in Diversitätskontexten. Auf der Konferenz werden im Gruppenformat Konzepte, Erfahrungen und Forschungsergebnisse aus diesen Lehrveranstaltungen zur Diskussion gestellt. Die Vorbereitung und Begleitung der Studierenden erfolgten auf Grundlage des Anti-Bias-Ansatzes. Das Zusammenbringen der Perspektiven von Studierenden, die ihr Praktikum im Inland und im Ausland planen, hat sich in der Seminararbeit als Herausforderung dargestellt. Am Beispiel des Kulturbegriffs und einer Übung aus der Anti-Bias-Arbeit möchten wir zu einer gemeinsamen Diskussion einladen, wie in der Weiterentwicklung der Seminare beide Perspektiven gewinnbringend zusammengeführt werden können.
Wir werden eine an den Universitätskontext angepasste Anti-Bias-Übung mit dem Titel „Mein (kulturelle) Hintergrund“ vorstellen. In dieser Übung werden Teilnehmer:innen eingeladen, darüber nachzudenken und sich darüber auszutauschen, welche sozioökonomischen Umstände ihre Möglichkeiten, Perspektiven und Haltungen geprägt haben. In Seminaren für Lehramtsstudierenden haben wir diese Übung eingesetzt, vor allem um national geprägte Vorstellungen des Konzepts „Kultur“ zu relativieren und gleichzeitig die kritische Selbstreflexion der Studierenden zu fördern.
WS 4: Unterricht inklusiv gestalten: Möglichkeiten, gemeinsames Lernen zu fördern
Um Unterricht inklusiv gestalten zu können, ist es notwendig, Lernmaterialien zur Verfügung zu stellen, die ein Lernen am gemeinsamen Gegenstand zulassen und gleichzeitig das unterschiedliche Fähigkeitsniveau der Kinder berücksichtigen. Zudem ist es unabdingbar, die Partizipation der Kinder zu stärken, indem ihre Rückmeldungen in die kooperative Unterrichtsentwicklung einbezogen werden. Wir möchten in der didaktischen Werkstatt zwei Möglichkeiten zur inklusiven Unterrichtsgestaltung vorstellen, die auf Basis dieser beiden Ansätze entwickelt wurden.
(1) Differenziertes Lernmaterial (DiLu, RegioDiff, RegiNaDiff, Kinderleicht): in unterschiedlichen Projekten entwickelte und evaluierte unser Arbeitsbereich differenziertes Unterrichtsmaterial, das Wortschatzarbeit berücksichtigt und Leseverständnis fördert (z.B. Seifert et al., 2015; Paleczek et al., 2022). Die Materialien für den Lese- und Fachunterricht (2.-5.Schulstufe) sind mit kooperativen Lernelementen angereichert und können in Print und in einer digitalen Lernumgebung verwendet werden.
(2) Inclusive Inquiry: Teams aus drei Lehrpersonen und neun Kinder-Forscher*innen planen gemeinsam eine inklusive Unterrichtsstunde, um diese durchzuführen, zu beobachten, zu besprechen und zu adaptieren. Im Dialog werden Ideen entwickelt, wie alle Kinder einbezogen werden können.
Anhand dieser zwei verschiedenen Ansätze werden Möglichkeiten zur inklusiven Unterrichtsgestaltung aufgezeigt und können in der didaktischen Werkstatt ausprobiert werden.
WS 5: Let's talk about classism! Freie Bildungsressourcen aus dem Projekt „Habitus.Macht.Bildung“
Soziale Herkunft spielt für den „Bildungserfolg“ in Österreich eine im OECD-Vergleich große Rolle, weswegen es in Österreich auch eine nationale Strategie zur sozialen Dimension in der Hochschullehre gibt. Aber nicht nur Hochschullehrende sind aufgefordert, sich kritisches Wissen über gesellschaftliche Ungleichheit, insbesondere Klassismus, anzueignen und das eigene Handeln sowie organisationale Strukturen klassismuskritisch zu reflektieren. Auch von angehenden Lehrkräften müssen solche Kompetenzen eingefordert werden und damit wird die Auseinandersetzung mit Habitus, Macht und Bildung zum Thema für die Lehrer*innenbildung.
Im Rahmen der didaktischen Werkstätte werden Open Educational Resources (OER) bestehend aus Theoriekarten und Übungen vorgestellt, die eine reflexiv-forschende Auseinandersetzung mit Bildung und sozialer Ungleichheit anstoßen sollen und in der Arbeit mit allen Studierenden, insbesondere Lehramtsstudierenden, aber auch mit Hochschullehrenden eingesetzt werden können. Sie sind im Rahmen des Projekts „Habitus.Macht.Bildung – Transformation durch Reflexion“ entstanden, das von 2019 bis 2021 am Institut für Bildungsforschung und PädagogInnenbildung der Universität Graz durchgeführt wurde. Mithilfe sozialwissenschaftlicher und partizipativer Methoden wurden im Zuge von Lehrveranstaltungen der Bildungswissenschaftlichen Grundlagen (BWG) die Erfahrungen und Wahrnehmungen von Lehramtsstudierenden mit Blick auf soziale Ungleichheiten (in den Bildungswegen) erforscht. Studentische Diskriminierungs- und Privilegierungserfahrungen sowie sozioanalytische und literarische Bearbeitungen von Bildungserfahrungen und sozialer Herkunft wurde analysiert, mit theoretischen Auseinandersetzungen zu Bildung und sozialer Ungleichheit kombiniert und als OER aufbereitet. Sie unterstützen die Auseinandersetzung damit, wie in Bildungsinstitutionen soziale Ungleichheiten (re)produziert werden und welche pädagogischen Konsequenzen möglich sind.
WS 6: Der Wald der Zukunft: Performative Impulse für visionäre Wissenschaftsbildung
Wie wird der Wald der Zukunft klingen? Welche Düfte könnten ihn durchdringen? Wie wird sich der Wald bewegen? Wird der Borkenkäfer in 50 Jahren noch existieren? Dieser Beitrag präsentiert einen didaktischen Ansatz zur Einführung von Zukunftsnarrativen mithilfe performativer Methoden.
Futures Literacy wird von der UNESCO als Schlüsselkompetenz angesehen. Um Lernenden 21st-Century-Skills und verschiedene Zukunftsnarrative zu vermitteln, bedarf es alternativer Lehransätze. Die Einbindung von Kreativität und multisensorischem Lernen ermöglicht eine ästhetische Herangehensweise an wissenschaftliche Aspekte und fördert ein tieferes Verständnis für diese.
Performative Methoden der Drama- und Theaterpädagogik bieten die Möglichkeit einer kognitiven und emotionalen Auseinandersetzung mit Zukunftsnarrativen. Ihr partizipativer Charakter ermutigt zu einem kreativeren und innovativeren Umgang mit der Zukunft sowie zur Übernahme einer kritischen Haltung.
Drama- und Theaterpädagogik verknüpfen verschiedene Diskurse und eignen sich aufgrund ihres interdisziplinären Charakters besonders für die Förderung von Futures Literacy in der Primarstufe.
Im Rahmen eines Forschungssettings zu dem Thema „Wald der Zukunft“, haben sich Schüler*innen einer 3./4. Klasse Volksschule durch eine Märchen-, Forschungs- und Zukunftswerkstatt mit der Forschungsfrage „Wie funktioniert der Wald als Lebensraum und wie kann er auch in der Zukunft erfolgreich sein?“ auseinandergesetzt.
Die Zukunftswerkstatt, entstanden in Zusammenarbeit mit dem Interdisziplinären Netzwerk für Wissenschaftsbildung Niederösterreich (INSE), zielt darauf ab, das Verständnis für Wissenschaft zu vertiefen, insbesondere durch kulturelle Perspektiven.
Mithilfe performativer Ansätze konnten sie sich in ein Zukunftsszenarium einfühlen, subjektiv-körperliche Erfahrungen machen und sich emotional beteiligen.
Der drama- und theaterpädagogische Rahmen ermöglichte es den Lernenden, eine wissenschaftliche Thematik kreativ anzugehen; sich als Forschende zu erleben und ein Stück zu schaffen.
WS 7: Magical Musical Mat - Ein interaktives Design zur symmetrischen Kommunikation mit non-verbalen Menschen auf dem Autismus-Spektrum
Eine der tiefgreifendsten Schwierigkeiten, denen nicht-verbaler Menschen auf dem Autismus-Spektrum in ihrer Interaktion mit sprechenden anderen Menschen begegnen, betrifft das „Problem der doppelten Empathie“. Hiernach fällt es beiden Interaktionspartnern schwer, sich auf die Verstehens- und Gefühlswelt des jeweils anderen einstellen zu können. Traditionelle Kommunikationsansätze, beispielsweise die Nutzung ‚unterstützter Kommunikation‘ und entsprechender Materialien, geht hierauf kaum ein und schaffen ein asymmetrisches Kommunikationsverhältnis, da die Mittel und ihre Bedeutungen vorgegeben sind und mitgelernt werden müssen. Das Design, das hier vorgestellt wird, denkt ausgehend von den Praktiken und Ressourcen autistischer Menschen. Die Magical Musical Mat (MMM) wurde entwickelt im Rahmen einer Studie, die das natürliche Phänomen des „interaktiven Stimmings“, einer wirkungsvollen Art der Kommunikation bei autistischen Menschen, beleuchtet. Es verlagert die herkömmliche Betonung der Sprache hin zur grundlegenden Rolle des Körpers autistischer Kommunikation, indem es eine innovative interaktive Umgebung schafft, die zwischenmenschliche Berührungen mit musikalischen Klängen verbindet. Hierdurch werden Bedeutungen nicht vorgegeben, wie in der unterstützten Kommunikation, sondern von den Kommunikationspartnern in der Interaktion selbst erschaffen.
So hat sich bisher gezeigt, wie Kinder ihre Autonomie behaupten, indem sie in ihrem eigenen Tempo erkunden und sensorische Merkmale entdecken. Wenn zwischenmenschliche Berührungen in den Vordergrund gerückt werden, können Eltern und andere Erziehende in die Sinnesaktivitäten der Kinder eingeführt werden: Es kann sich auf die Reize der Kinder eingestellt werden, so dass durch mitmachen ihre Ausdruckskraft gefördert wurd und so erweiterte, sich entwickelnde Muster sich wiederholender Zyklen mitgestaltet werden. Hierauf kann dann folgende Interaktion symmetrisch aufbauen.
Im didaktischen Workshop wird die Möglichkeit geschaffen, die MMM auszuprobieren.
Didaktische Werkstätten - Teil 2 - Donnerstag, 05.09.2024: 13:00 - 14:30
WS 1: Wissen, wo die Kinder in ihrem Lernprozess stehen: Diagnostik-Verfahren zur Erhebung der Sprach- und Lesefähigkeiten in der Primarstufe und im Kindergarten
Individuelle Förderung ist in Lerngruppen mit hoher Diversität notwendig, stellt jedoch Lehrpersonen häufig vor Herausforderungen. Diagnosekompetenz ist für individuell-förderndes Unterrichtshandeln entscheidend (Helmke, 2009) und trägt zu einer höheren Selbstwirksamkeit der Lehrpersonen bei (Bosse et al., 2015), aber auch dazu, auf die Bedürfnisse der Schüler*innen reagieren zu können. Pädagogische Diagnostik sollte dabei objektiv, valide und reliabel sein (Helmke, 2009), was durch standardisierte Instrumente, die diesen Kriterien entsprechen, ermöglicht werden kann.
Für die Einschätzung der Lese- und sprachlichen Fähigkeiten, die unbestritten einen großen Einfluss auf die akademische Laufbahn und den Bildungserfolg von Kindern haben, wurden am Arbeitsbereich Inklusive Bildung und Heilpädagogische Psychologie der Uni Graz einige Verfahren (u.a. FLT I und II: Früher Lesefähigkeitentest, DiLe-D: Differenzierter Lesetest Dekodieren, GraLeV: Grazer Leseverständnistest, GraWo: Grazer Wortschatztest, GraF GruS: Grammatikfähigkeiten Gruppenscreening) entwickelt, die die Identifikation von Kindern mit Schwierigkeiten, aber insbesondere auch die Ableitung von Fördermaßnahmen in Kindergarten und Primarstufe ermöglichen. Im Rahmen der didaktischen Werkstatt werden diese Verfahren Interessierten vorgestellt, Einsatzmöglichkeiten im Unterricht besprochen sowie Implikationen für die Förderung von Schülerinnen und Schülern diskutiert.
WS 2: Kann man aus Wollschnabeltierwolle Radiergummis machen? Ein webbasierter Lehrgang zur Förderung von Textkompetenz im kritischen Umgang mit Fake News
Die „Bildung der Zukunft“ (Future Education) erfordert es, Lernende auf die Herausforderungen des digitalen Wandels vorzubereiten: Schüler*innen haben im 21. Jahrhundert 24/7 Zugang zu digitalen Texten, die ihnen vor allem in den Sozialen Medien begegnen und sich deutlich rasanter verbreiten als in analoger Form (vgl. Kozyreva et al. 2020). Diese schier endlose Fülle an Informationen weist aber häufig einen Mangel an epistemischer Qualität auf, da gatekeeper fehlen, die diese filtern und überprüfen (vgl. Metzger/Flanagin 2015; Schicker 2022). Für „die Bildung von morgen“ müssen Lernende daher auch über Fähigkeiten verfügen, Falschinformationen in Texten zu erkennen und im Diskurs zu widerlegen.
Im Erasmus+ Projekts Fictional Science (FiSci) wird daher ein webbasierter Lehrgang zur Förderung von Textkompetenz im kritischen Umgang mit Fake News für die Sekundarstufe I und II entwickelt und mit 600 Lernenden mit Deutsch als Erst-, Zweit- und Fremdsprache erprobt. Lernende werden dabei zunächst für Falschinformationen in Texten und ihre sprachlichen und inhaltlichen Merkmale sensibilisiert. Anschließend lernen sie Sourcing und Corroboration zur Überprüfung von Informationen in Texten kennen und können die daraus gewonnenen Erkenntnisse einsetzen, wenn sie mithilfe eines sprachlichen Stützgerüstes Falschinformation in schriftlicher Form argumentativ widerlegen. Didaktisch innovativ ist dabei vor allem, dass die Konfrontation mit Falschinformation auf Basis didaktisch konstruierter Fake-News-Texte erfolgt. Dies ermöglicht es den Lernenden, sich auf den Erwerb von Fähigkeiten zur Identifizierung von Falschinformationen zu konzentrieren, ohne den schädlichen Einflüssen von echten Fake News ausgesetzt zu sein bzw. durch vorgefasste Meinungen abgelenkt zu werden (worldview-backfire effect) (vgl. Cook/Lewandowsky/Ecker et al. 2017).
WS 3: Digitale Leseförderung mit LeOn (Leseraum Online)
In der Didaktischen Werkstatt stellen wir den Teilnehmenden LeOn (Leseraum Online) vor: eine webbasierte Anwendung zur systematischen Leseförderung für die zweite bis sechste Jahrgangsstufe. Mit LeOn können etablierte Lesefördermaßnahmen wie Lautlese- und Vielleseverfahren, leseanimierende Verfahren, Lesestrategietrainings und Verfahren des Literaturunterrichts (Rosebrock & Nix, 2020) digital unterstützt durchgeführt werden. Dass solche Maßnahmen notwendig sind, zeigen Befunde des IQB-Bildungstrends 2021 (Stanat et al. 2022) und der IGLU-Studie 2016 (Hußmann et al. 2017).
Im Workshop stellen wir LeOn als ein „Haus des Lesens“ vor: die Teilnehmenden testen die digitalen Räume für praxiserprobte Leseförderverfahren, z.B. Lautlesetandems im Tandemraum, Mitlesen und das Erstellen von Lautleseseproben für die Lehrperson im Karaoke-Raum, das Studio für die Erstellung eigener Hörspiele sowie die Möglichkeiten des literarischen Lernens im Aufgabenraum. Außerdem bekommen die Teilnehmenden einen Einblick in die digitale Bibliothek von LeOn. Hier haben Schülerinnen und Schüler Zugriff auf ein umfangreiches Angebot an Lesetexten in differenzierten Schwierigkeitsstufen. Ein Teil der Texte ist für das synchrone Mitlesen in verschiedenen Geschwindigkeiten eingesprochen. Die Texte sind didaktisch ausgewählt und stammen aus Projekten wie DiLu (Prof. Gasteiger-Klicpera), FiLBY (Prof. Schilcher), VERA 3 (Prof. Krelle) sowie Kooperationen mit Prof. Rosebrock und dem HarperCollins-Verlag.
Für die Entwicklung von LeOn kooperierte die TU Chemnitz mit dem Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen. In der Entwicklung wurde die Anwendung mit ca. 900 Lernenden und ca. 50 Lehrkräften pilotiert. Seit dem Herbst 2023 steht LeOn allen Schulen mit Primarstufe und Sekundarstufe I in Nordrhein-Westfalen kostenfrei unter www.leon-nrw.de zur Verfügung. Ein Transfer in andere Länder kann ermöglicht werden.
WS 4: Ein interdisziplinärer Blick auf Risiko, Unsicherheit und Modellieren
Das BMBF-Projekt siMINT (Komplexe MINT-Themen verstehen: Mit Simulationen Kompetenzen für das 21. Jahrhundert fördern) widmet sich der Förderung von Risikokompetenz, Modellierkompetenz und Kompetenzen im Umgang mit Unsicherheit unserer Schülerinnen und Schüler. Dabei wird in siMINT aus den Perspektiven von Biologie-, Mathematik-, und Informatikdidaktik untersucht, wie diese Kompetenzen als Future Skills mithilfe von Simulationen gefördert werden können. Im Rahmen des Projektes entstehen evidenzbasierte Lehr-Lehrkonzepte, die in der didaktischen Werkstatt vorgestellt werden.
Zunächst wird eine Unterrichtssequenz zur Förderung der Risikokompetenz vorgestellt, die im Mathematikunterricht mit Querbezügen zur Biologie erfolgen soll. Im Zentrum der Einheit stehen HIV-Selbsttests, die in Deutschland erst seit 2018 zugelassen sind und bei denen die Interpretation der Packungsbeilage typischerweise eklatante Fehlvorstellungen darüber auslöst, was ein positives Testergebnis wirklich bedeutet. Obwohl diese Tests fast alle infizierten Personen entdecken und auch bei einem hohen Anteil nicht-infizierter Personen richtigerweise ein negatives Ergebnis liefert, muss ein positives Testergebnis bei einem Niedrig-Risiko-Patienten noch kein Grund zur Beunruhigung sein. Mithilfe geeigneter Simulationen werden im Unterricht Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Testparametern herausgearbeitet. Bezüge zur Biologie werden beispielsweise hergestellt, um herauszuarbeiten, dass die Grundwahrscheinlichkeit, mit HIV infiziert zu sein, sehr stark vom individuellen Verhalten geprägt ist.
Vorgestellt werden sollen auch Materialien am Schnittfeld von Biologie- und Informatikunterricht, bei denen Schülerinnen und Schüler „einfache“ Themen (z. B. Osmose), „komplizierte“ Fragestellungen (z. B. Verbreitung einer Infektionskrankheit am Beispiel von Masern) und „komplexe“ Herausforderungen (z. B. Auswirkungen des Klimawandels auf Ökosysteme wie der Ostsee) erarbeiten und dabei neben Modellierkompetenzen auch Kompetenzen im Umgang mit Umgang mit Unsicherheit erwerben.
WS 5: Lubo-les: Ein präventives Training zur Förderung sozial-emotionaler Fähigkeiten von Schüler*innen mit Leseschwierigkeiten in der Grundschule
Im Grundschulalter treten Leseschwierigkeiten häufig gemeinsam mit sozial-emotionalen Schwierigkeiten auf. Allerdings gibt es im deutschsprachigen Raum bisher keine Interventionsprogramme, die spezifisch die sozial-emotionalen Fähigkeiten von Schüler*innen mit Leseschwierigkeiten adressieren. Dies wird allerdings gefordert, um die Schüler*innen umfassend unterstützen zu können (Hendren et al., 2018).
Das Kooperationsprojekt Lubo-LRS (Universität zu Köln, 2022), das von der Universität zu Köln, der Interkantonalen Hochschule Zürich und der Universität Graz gemeinsam umgesetzt wird, hat zum Ziel, ein entwickeltes Präventionsprogramm zu evaluieren, das dieser Forderung nachkommt. In diesem Beitrag wird das Präventionsprogramm „Lubo-les“ vorgestellt, welches auf dem evaluierten Programm „Lubo aus dem All“ (Hillenbrand et al., 2022) basiert. Es soll gezeigt werden, wie eine Förderung sozial-emotionaler Fähigkeiten komplementär zur Förderung von Lesefähigkeiten in den ersten Schuljahren umgesetzt werden kann.
Die Bereiche Problemlösefähigkeiten, Emotionsregulation und Selbstwirksamkeit von Schüler*innen mit Leseschwierigkeiten werden anhand von herausfordernden Situationen im Schulalltag in den ersten Schuljahren fokussiert. Die Wahl der herausfordernden Situationen basiert auf einem Scoping Review sowie auf Interviews, die Lese-/Rechtschreibtherapeut*innen mit Kindern durchführten. Eine Evaluation des Präventionsprogramms erfolgte im Rahmen einer kontrollierten Längsschnittstudie in der zweiten Klasse (10/2022-10/2023).
WS 6: Verzahnung der Vermittlung von Forschungskompetenzen und Datenerhebung: Ein semesterbegleitendes Arbeitsbuch für Studierende
Eine forschende Grundhaltung wird zunehmend als zentral für die Ausbildung von Lehrpersonen angesehen (Groß Ophoff & Rott, 2017). Dies motiviert zur Schaffung neuer Lehrmethoden, die angehende Lehrpersonen adäquat auf ihre zukünftige Rolle vorbereiten sollen.
Vor diesem Hintergrund wurde ein einsemestriger Universitätskurs als Service-Learning-Erfahrung für Lehramtsstudierende konzipiert. Ziel ist es, die Forschungskompetenzen und Dispositionen der Studierenden zu stärken, indem sie mit realen Herausforderungen im Schulalltag konfrontiert werden und diese forschungsbasiert bearbeiten (Froehlich et al., 2021).
Ein Schlüsselinstrument in diesem Prozess ist ein speziell entwickeltes interaktives Arbeitsbuch. Es dient als Strukturierungshilfe, die den Studierenden durch gezielte Aufgabenstellungen und die Bereitstellung relevanter Informationen eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Lerninhalten ermöglicht. Zudem integriert das Arbeitsbuch Reflexionspunkte, die sowohl quantitative Skalen aus der wissenschaftlichen Forschung als auch qualitative Reflexionen umfassen, um eine kritische Reflexion und Selbsteinschätzung der Studierenden zu fördern.
Die Wirksamkeit dieses Ansatzes wird in einer internationalen Mixed-Methods-Längsschnittstudie untersucht. Dabei wird das Arbeitsbuch nicht nur als zentrales Lehrmittel eingesetzt, sondern auch als innovatives Instrument der Datenerhebung, das tiefe Einblicke in den Lernprozess der Studierenden ermöglicht. Der methodische Einsatz des Arbeitsbuches orientiert sich an der Struktur einer Tagebuchstudie.
Im Rahmen dieser didaktischen Werkstatt wird das Arbeitsbuch in seiner dualen Funktion als Lehr- und Forschungsinstrument diskutiert, um neue Wege für die Gestaltung und Evaluation von Forschungsmethodenseminaren zu erkunden.
WS 7: Schreiben mit unterschiedlichen Werkzeugen beobachten (OER)
Im Rahmen alltäglicher Schreibhandlungen, wie etwa bei der Entwicklung (vor)wissenschaftlicher Texte, werden unterschiedlichste Schreibwerkzeuge verwendet. Oftmals ist die Auswahl des Schreibwerkzeugs mit dem spezifischen Schreibanlass verbunden – beispielsweise werden spontane Ideen schnell mit griffbereitem Stift und Notizbuch festgehalten oder ein ein erster Entwurf mittels Textverarbeitungsprogrammen am Computer überarbeitet. Aufgrund der individuellen Routinen und Präferenzen, für bestimmte Schreibanlässe bestimmte Werkzeuge einzusetzen, ist ein direkter Vergleich der unterschiedlichen Schreibwerkzeuge schwierig. Dadurch bleibt oftmals deren mögliche Bedeutung für den Schreibprozess unbewusst oder auch verborgen, wenn beispielsweise das Smartphone als viel genutztes Schreibwerkzeug im Social-Media-Kontext beim Schreiben (vor)wissenschaftlicher Texte kaum eingesetzt wird.
Die im Rahmen der didaktischen Werkstätten vorgestellten Unterrichtsmaterialien zielen darauf ab, das eigene Schreibhandeln beim Schreiben mit unterschiedlichen Werkzeugen zu beobachten und weiterführend zu reflektieren, welches Potenzial unterschiedliche Schreibwerkzeuge für den eigenen Schreibprozess haben können. Dabei wird das alltägliche, routinisierte Schreibhandeln dadurch irritiert, als ein gleichbleibender Schreibanlass in Form eines Freewriting mit unterschiedlichen Schreibwerkzeugen durchgeführt wird. Anschließend werden knappe Beobachtungsprotokolle entlang der theoriegeleiteten Fragekategorien ‚Blickverhalten“, ‚Schreibgeschwindigkeit‘ und ‚Schreibfluss‘ angefertigt, wodurch eine Vergleichsbasis für das Schreiben mit unterschiedlichen Werkzeugen eröffnet wird. Die durch die Fragen initiierte Reflexion darüber, welche Schreibwerkzeuge in welchen „Stadien in der Schreibentwicklung“ (Bereiter 2012, S. 403) gewinnbringend eingesetzt werden können, ermöglicht das eigene Schreibhandeln besser zu verstehen und weiter zu professionalisieren.
Die als OER zur Verfügung gestellten Unterrichtsmaterialien wurden im Rahmen der Masterthesis der Autorin entwickelt und erprobt und können von den Teilnehmer*innen bereits im Rahmen der Konferenz eigenständig ausprobiert werden. Ergebnisse der Studie werden bei der Posterpräsentation vorgestellt.