„Man muss den Schüler:innen gutes Brot backen, damit sie auf den Mathe-Geschmack kommen“

Assistenzprofessorin Christina Krause wollte eigentlich Lehrerin werden. Nun unterrichtet sie an der Universität Graz angehende Mathematik-Lehrer:innen und lehrt sie, wie man Schüler:innen die Mathematik schmackhaft machen kann. Im FUTURE EDUCATION Programm wirkt sie an gleich drei Clustern mit: Bildungstechnologie(n), MINT+ und Pluralität und Diversität.
Nach ihrer Promotion an der Universität Bremen wollte sie eigentlich nicht an der Uni bleiben. Aber irgendetwas hat sie doch immer wieder in diese Richtung getrieben, anstatt sich selbstständig zu machen. „Weil das so spannend ist“, sagt Assistenzprofessorin Christina Krause, die an der Universität Graz am Institut für Mathematik und Wissenschaftliches Rechnen und am Fakultäres Didaktikzentrum für Naturwissenschaften und Mathematik für die Unterrichtsfächer Biologie, Chemie, Mathematik und Physik (DINAMA) tätig ist. Das Durchbeißen für die Promotion, die sie an ihr Mathematik- und Physik-Studium an der Universität Oldenburg anhängte, und dann all die Erfolgserlebnisse, wenn die eigenen Forschungsergebnisse bei einer Konferenz wertgeschätzt werden, etwa. Solche Hochpunkte gebe es in ihrer bisherigen Forschungskarriere immer wieder. „Und an denen muss man lange festhalten, da vielleicht lange Zeit keiner mehr kommt. Oder die Ansprüche steigen.“ Diese Erfolgserlebnisse waren es, die sie zu Beginn ihrer Karriere motivierten.
Mittlerweile haben sich die Triebfedern ihrer Motivation stärker aufs Inhaltliche verlagert: die Auseinandersetzung mit dem inklusiven Lernen. Mit einer bildungsgerechten Mathematik-Didaktik, die die Potenziale der Schüler:innen in den Vordergrund stellt, anstatt ihrer Defizite. Damit, wie blinde Menschen mathematische Funktionen hören. Oder damit, wie wichtig Sprache für gehörlose Menschen im Mathematikunterricht ist. Gerade letztere Gruppe befände sich in einem Teufelskreis, betont sie. „Die Lernbedingungen für gebärdende Menschen stimmen oft nicht. Wo sprachliche Probleme vorhanden sind – oder gemacht werden, weil nicht auf die natürliche Sprache der Lernenden eingegangen wird - und das Lesen schwerfällt, ist es auch schwerer, Mathematik zu lernen. Beziehungsweise entsteht das Bedürfnis erst gar nicht, sich mit höherer Mathematik auseinanderzusetzen.“
"Wo sprachliche Probleme vorhanden sind – oder gemacht werden, weil nicht auf die natürliche Sprache der Lernenden eingegangen wird - und das Lesen schwerfällt, ist es auch schwerer, Mathematik zu lernen."
Nach dem Doktorat verschlug es Christina Krause zuerst als Postdoc an die Universität Duisburg-Essen und an die Universität Siegen, wo sie eine Gastlehrstuhl innehatte. In ihrer Zeit in Berkeley, wo sie ein Marie Skłodowska Curie- Postdoc-Fellowship innehatte, kam sie mit dem Thema inklusives Lernen intensiv in Kontakt. Dort beschäftigte sie sich stärker mit der Idee, inklusives Lernen mit Bewegung und Sinneswahrnehmungen zu verbinden. Dabei stand die Frage im Vordergrund, welche Ressourcen etwa Menschen mit Autismus oder mit Sehbehinderung nutzen und wie diese sinnvoll für das Mathematiklernen genutzt werden können. Im Bereich des Embodiment liegt auch einer ihrer Forschungsschwerpunkte, den sie unter anderem in einem aktuellen internationalen Forschungsprogramm ‚SpEED - Special Education Embodied Design‘ verfolgt. Der Ansatz des Embodiment besagt, dass das konzeptionelle Denken die kognitiven Strukturen prägt. Er baut auf Welterfahrung auf. Kurz und gut: Der Körper ist fürs Lernen essentiell. “Beim Fahrradfahren lernen wir, was Gleichgewicht ist. Eine solche Erfahrung von Gleichgewicht braucht man, um später die Idee hinter mathematischen Gleichungen verstehen zu können. Durch die Verbindung zu und Rückbeziehung auf Bewegungs- und Sinneserfahrungen kann man mathematische Ideen reflektieren und Ansätze für mathematische Probleme auf Bewegungsprobleme zurückführen.”
„Meine Mission ist, das Bild von Mathematik inklusiver zu gestalten – auch an der Uni! Denn diejenigen, die Mathematik betreiben und in ihrem eigenen mathematischen Werdegang auf wenige Widerstände gestoßen sind, können sich oft gar nicht vorstellen, womit viele in der Mathematik Probleme haben.“
„Meine Mission ist, das Bild von Mathematik inklusiver zu gestalten – auch an der Uni! Denn diejenigen, die Mathematik betreiben, können sich oft gar nicht vorstellen, womit viele in der Mathematik Probleme haben.“
Auch Kindern möglichst früh Mathematik schmackhaft zu machen, steht auf Christina Krauses Agenda. Erst in der Sekundarstufe anzusetzen, sei zwar noch nicht zu spät, aber viel schwieriger, wie sie betont: „Man muss früher ansetzen – im Kindergarten oder in der Volksschule.“ Denn Lehrer:innen hätten oft nicht die Möglichkeit, die mathematischen Inhalte zu unterrichten, die Spaß machen. Deshalb versuche sie aktiv Kinder einzufangen, die nicht wissen, was Mathematik eigentlich ist. „An der Uni wird leckeres, gehaltvolles Schwarzbrot gemacht. An den Schulen wird das auf schnödes Weißbrot heruntergebrochen, und die Schüler:innen lernen gar nicht erst kennen, wie lecker Mathematik sein kann. Man muss den Schüler:innen gutes Brot backen – sie auf den Geschmack bringen – und dann finden sie vielleicht später an die Uni.“
Um diese Zugänge zu erleichtern, setzt sie in ihrem Fachdidaktik-Unterricht auch auf den Einsatz von Apps im Mathematik-Unterricht, die den Studierenden die Möglichkeit bieten, selbst interaktives und für die Schüler:innen ansprechendes Unterrichtsmaterial zu erstellen. Als Beispiele nennt sie die Apps Actionbound, über die die User:innen selbst interaktive Schnitzeljagden konzipieren können, oder die App TouchCounts /TouchTimes, durch die Schüler:innen – und sogar schon Kindergartenkinder - den Umgang mit Zahlen und Operationen interaktiv entdecken können. Das soll Schüler:innen motivieren, die Vielfalt der Mathematik und der Zugänge zu ihr zu sehen und es soll diejenigen reinziehen, die noch nicht an Mathematik interessiert sind. „Mathematik ist eben nicht gleich Formeln und deren Auswirkungen zu lernen. Und es ist kein ‚das kann ich oder kann ich nicht‘.“ Es brauche verstärkt ein ‚growth mindset‘ anstelle eines ‚fixed mindset‘, und dieses Umdenken möchte sie bei Schülerinnen und Schülern, bei Eltern und bei Lehrerinnen und Lehrern unterstützen. „Die Mathe-Didaktik ist noch so jung. Da ist noch Luft nach oben!“
"An der Uni wird leckeres, gehaltvolles Schwarzbrot gemacht. An den Schulen wird das auf schnödes Weißbrot heruntergebrochen, und die Schüler:innen lernen gar nicht erst kennen, wie lecker Mathematik sein kann."
Ob sie diesen Karriereweg wieder einschlagen würde, wenn sie die Wahl hätte? „Ich denke, schon. In der Wirtschaft wäre es sicher leichter, Feierabend zu machen. An der Uni hat man hingegen viele Freiheiten. Das erleichtert und erschwert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch.“
Und noch ein weiterer, großer Vorteil sei nicht zu unterschätzen: Nämlich, dass man sich Angelegenheiten, die einem persönlich unter den Nägeln brennen, auch beruflich widmen kann. „Das ist aber vielleicht nur mein eigener Turn. Mein Sohn wurde kürzlich auf Hochbegabung diagnostiziert und seitdem hat das auch einen großen Einfluss auf die Perspektiven meiner inklusiven Ausrichtung. Ich kann die Neugierde voll ausleben, welche Vorteile – aber auch Probleme – das mit sich bring und wie dies in den Embodiment-Fokus passt.“
Und was rät sie jungen Forscher:innen? „Der eigenen Neugierde und dem eigenen Drang zu folgen und sich gegen das ‚Establishment‘ zu trauen, wo anders hinzugehen. Es braucht Sitzfleisch und Durchhaltevermögen, um in der Forschung bestehen zu können. Zugleich sollte man gut auf sich selbst aufpassen, auf die eigene mentale Gesundheit achten, und sich einen Ausgleich schaffen.“
“Ein großer Vorteil der Arbeit an der Uni: Man kann sich Angelegenheiten, die einem persönlich unter den Nägeln brennen, auch beruflich widmen.”

Ass.-Prof. Dr.rer.nat. Christina Krause
+43 316 380 - 5060
Institut für Mathematik und Wissenschaftliches Rechnen
Mi, 14:15-15:15 Uhr und nach Vereinbarung, auch online
https://tinyurl.com/ChristinaKrause