App „Prosodiya“ soll Kinder mit Lese-Rechtschreibschwäche unterstützen
Profitieren Schulkinder mit Lese-Rechtschreibschwäche von einer App, mit der sie selbstständig zu Hause üben können? Hilft es den betroffenen Kindern, die Lerninhalte in ein digitales Spiel zu verpacken? Mit diesen Fragen setzte sich eine Studie auseinander, an der auch Manuel Ninaus vom Institut für Psychologie an der Universität Graz beteiligt war.
Volkschulkindern mit Lese- und Rechtschreibschwäche (LRS) fällt es unter anderem schwer, zu erkennen, wie Silben richtig betont werden. Folglich haben sie auch Schwierigkeiten beim Buchstabieren von Wörtern. Betroffen ist knapp jedes zehnte Kind in Deutschland – genau genommen liegen die Schätzungen bei vier bis zehn Prozent. Um diese Kinder zu unterstützen, haben Forscher:innen der Universitäten Graz, Tübingen, Karlsruhe und der TU Dortmund gemeinsam mit dem Tübinger Institut für Lerntherapie die App „Prosodiya“ entwickelt. Und sie haben untersucht, wie sich deren Anwendung auf die Rechtschreib- und Lesekompetenzen der Kinder auswirkt.
„Prosodiya“ stellt den Zusammenhang zwischen Silbenbetonung und Rechtschreibung her. Der Name leitet sich von „Prosodie“, dem Fachbegriff für die Sprachmelodie ab. Die App ermöglicht den Kindern, diese Fähigkeiten im Rahmen eines digitalen Spiels für Smartphones und Tablets zu trainieren und gibt ihnen Echtzeit-Feedback, so dass sie selbstständig zu Hause üben können – also ohne dass sie von Lehrer:innen, Lerntherapeut:innen oder Eltern angeleitet werden müssen. Das hat nicht nur den Vorteil, dass die Lernumgebung für die Kinder einfacher zugänglich ist, sondern kann auch wesentlich dazu beitragen, dass das Umfeld des betroffenen Kindes entlastet wird, indem Wege und Aufwand wegfallen.
„Wir wollten herausfinden, ob das überhaupt funktioniert und ob dieser innovative pädagogische Ansatz Sinn macht“, sagt Manuel Ninaus von der Universität Graz, der an der Studie beteiligt war. Er betont, dass die Studie in dieser Hinsicht auch eine Machbarkeitsstudie war. „Das Spielbasierte Training führte zu einem hohen Engagement der Kinder. Es hat sich gezeigt, dass wir sogar einschränken mussten, wie viel die Kinder mit der App spielen, indem wir neue Level immer erst sonntags freigeschaltet haben.“
Die Studie wurde als randomisiertes Feldexperiment mit Wartekontrollgruppe durchgeführt. Das bedeutet, dass die 116 Volksschulkinder im Aalter von 7 bis 10 Jahren nach dem Zufallsprinzip zwei Gruppen zugeteilt wurden. Während die erste Gruppe die App erhielt und neun bis zehn Wochen lang damit trainierte, musste die zweite Gruppe warten. Danach wurde getauscht. „Das macht man aus ethischen Gründen, damit der Kontrollgruppe die Vorteile beim Lernen nicht vorenthalten bleiben, falls sich zeigt, dass die App solche bietet“, erklärt Ninaus. Ein unbeaufsichtigtes computerbasierte Rechtschreibtraining für Deutsch wurde in dieser Studie übrigens erstmals in Form einer Feldstudie untersucht. Die Forscher:innen erhoffen sich, auf diese Weise aussagekräftigere Einblicke zu erlangen als beim Lernen, das unter optimalen Bedingungen stattfindet.
Auf die Vorlieben der Kinder wurde besondere Rücksicht genommen. Bevor die App für die Studie erstellt wurde, testeten die Forscher:innen, welche visuellen Elemente Kindern besonders gut gefallen und welche alle Geschlechter gleichermaßen ansprechen.
Das Ergebnis der Studie ist erfreulich: Nicht nur machte das Lernspiel den Kindern offenbar großen Spaß. Indem sie die App verwendeten, konnten die Kinder ihre Wahrnehmung der Silbenbetonung, die sogenannte Syllable Stress Awareness, deutlich verbessern und parallel dazu auch ihre Rechtschreibkompetenz. Dieser Effekt hat auch nicht abgenommen, nachdem das mehrwöchige Training beendet war. Das betraf sowohl Kinder in der Testgruppe als auch in der Wartegruppe, wobei die Verbesserung in der Wartegruppe naturgemäß später stattfand.
„Es ging uns in diesem Projekt darum, dass aus der empirischen Forschung heraus etwas entwickelt wird, das Hand und Fuß hat“, betont Ninaus. „Das Projekt zeigt außerdem deutlich, dass die Zusammenarbeit von vielen Disziplinen notwendig ist, um so etwas aufzuziehen.“ An dem Projekt beteiligt waren unter anderem Psycholog:innen, Informatiker:innen, Linguist:innen und empirische Bildungsforscher:innen.
Aktuell steht die App unter Wartungsarbeiten, da nach Möglichkeiten zur Finanzierung gesucht wird.