Lisa Paleczek: „Es ist mir wichtig, dass das Schulsystem die Kinder nicht tröpfchenweise verliert“
Assistenzprofessorin Lisa Paleczeks Forschung dreht sich um inklusive und diversitätssensible Unterrichtsgestaltung. Im FUTURE EDUCATION Netzwerk ist sie Mitglied in gleich drei Clustern: Pluralität und Diversität, Sprachen und Bildungstechnologien.
Aus Lisa Paleczeks Karriere als Ärztin wurde nichts. Ein Semester lang hat sie Medizin studiert. „Ich wollte aber näher am Menschen sein, als das in der Medizin der Fall ist“, sagt sie. Aktuell hat sie eine Assistenzprofessur am Institut für Bildungswissenschaften und Pädagog:innenbildung inne. „Das ist ein Privileg. Das ist nicht selbstverständlich“, betont sie und erzählt, wie es dazu kam.
Nach der Erkenntnis, dass das Medizinstudium nicht das richtige für sie sei, stieg sie auf ein Studium der Sonder- und Heilpädagogik an der Uni Graz um – und, ganz nebenbei und rein aus Interesse, inskribierte sie auch in Psychologie. Letzteres Studium führte sie kurz vor ihrem Abschluss über ein Erasmus-Stipendium nach Lissabon. Dort blieb sie vier Jahre lang, arbeitete unter anderem in einem gemeindepsychologischen Projekt mit, bei dem sie Alphabetisierungskurse leitete, und schloss in Portugal ihr Psychologiestudium ab.
2013 kehrte sie zurück nach Graz, wo sie an der Universität Graz eine Stelle als Universitätsassistentin ohne Doktorat annahm. Und damit ging es richtig los mit ihrer Forschungskarriere. Von Anfang an war sie in mehrere Projekte involviert. Richtungsweisend für einige ihrer Projekte war das Projekt LARS – Language Reaching Skills, bei dem sie mit Kolleginnen differenzierte Lesematerialien für die dritte Schulstufe entwickelte. „Wir wollten Kinder mit einer anderen Erstsprache abholen, aber auch allgemein Kinder mit unterschiedlichen Lesefähigkeiten, so dass jedes Kind bei dem behandelten Thema mitlernen kann“, sagt Lisa Palezek. Ihre Dissertation schrieb sie zum Thema Lese- und Sprachfähigkeiten im Licht der Diversität an Grundschulen.
Weil zu dieser Zeit ihr erstes Kind zur Welt kam, erschien ihr ihr befristeter Vertrag als zu unsicher. Deshalb nahm sie eine Stelle als Professorin für Inklusion und für Entwicklungspsychologie an der damaligen KPH Graz an, der heutigen Privaten Pädagogischen Hochschule Augustinum. „Das war schön, denn ich war nahe an allem dran und hatte eine große Reichweite über die Volksschullehrer:innen-Ausbildung“, sagt Lisa Paleczek. Doch die Forschung fehlte ihr, weshalb sie an die Uni zurückkehrte. Dort ergab sich für sie eine Stelle als Assistenzprofessorin, die ihr sowohl die Forschungsmöglichkeiten als auch zumindest eine Chance auf Sicherheit bot, die sie sich wünschte.
Seither hat sie nicht nur im Sommer 2024 ihre Habilitation eingereicht, sondern ist sie auch in vielen Projekten involviert, die alle eines gemeinsam haben: Kinder beim Lernen zu unterstützen und Partizipation zu ermöglichen. „Es geht mir um eine diversitätssensible Unterrichtsgestaltung – so, dass möglichst viele bis alle Kinder - aktiv und gemeinsam - mitarbeiten können.“
Zu ihren Projekten gehören – um nur einige zu nennen - etwa das Projekt „RegiNaDiff“, bei dem mittels eines im Projekt entwickelten Editor Lehrpersonen selbst digitales, differenziertes Lernmaterial mit leseförderlichen Elementen zu erstellen können. Oder aktuell das Projekt „Kinderleicht!“, das in Kooperation mit der FH Joanneum darauf abzielt, das Thema Leichtbau für Kinder verständlich aufzubereiten. Außerdem hat Lisa Paleczek in der Entwicklung diverser Diagnostikinstrumente mitgewirkt, wie zum Beispiel am Differenzierten Lesetest – Dekodieren, am Grazer Wortschatztest und am Grazer Leseverständnistest. Für ihr Projekt RegioDiff, das Sachunterrichtsmaterialien zur Steiermark für gemeinsamen Unterricht entwickelte (digital und in Print) und evaluierte, wurden sie und ihr Team Anfang 2024 mit dem Wissenschaftspreis Inklusion durch Naturwissenschaften und Technik (WINTEC) des Sozialministeriums ausgezeichnet.
"Wir wollten Kinder mit einer anderen Erstsprache abholen, aber auch allgemein Kinder mit unterschiedlichen Lesefähigkeiten, so dass jedes Kind bei dem behandelten Thema mitlernen kann.“
Doch nicht nur die Kinder, sondern auch Lehrerinnen und Lehrer liegen ihr am Herzen. Schließlich hat sie gemeinsam mit internationalen Kolleginnen und Kollegen mit „Hand in Hand – Empowering Teachers“ ein Trainingsprogramm entwickelt, das darauf abzielt, Lehrer:innen in ihren sozial-emotionalen Kompetenzen und ihrem Diversitätsbewusstsein über einen achtsamkeitsbasierten Ansatz zu stärken und sie so vor dem Burnout und Dropout zu bewahren.
Was sie motiviert, diesen Themenbereich intensiv zu beforschen? „Es gibt eine grundsätzliche Ungerechtigkeit in der Gesellschaft, die durch den Unterricht in der Schule noch verstärkt wird“, sagt sie. „Privilegierte Kinder finden leichter und bessere Unterstützung. Und Kinder, die es ohnehin schon schwerer haben, landen oft in separierenden Settings. Es ist mir wichtig, dass das Schulsystem die Kinder nicht tröpfchenweise verliert. Je höher die Klassenstufe, desto mehr Kinder bleiben außen vor.“ Dieses soziale Engagement ist ihr ein großes Anliegen. „Im Uni-Alltag zählen Fördergelder und Publikationen als harte Währung. Ich versuche, mich nicht allzu sehr darin zu verlieren, sondern achte darauf, dass meine Arbeit auch bei den Menschen ankommt. Denn das ist es, was am Ende der Karriere zählt!“
"Es gibt eine grundsätzliche Ungerechtigkeit in der Gesellschaft, die durch den Unterricht in der Schule noch verstärkt wird."
Was rät sie jungen Menschen, die eine Karriere in der Forschung in Erwägung ziehen? „Sich das gut zu überlegen. Das System ist nicht gerade frauen- und familienfreundlich. Und auch wenn man viel investiert und sich bewährt, gibt es keine Garantie, dass es mit der Karriere klappt.“ Und trotz allem brennt Lisa Paleczek für ihren Beruf: „Ich mache das, was ich mache, so gerne, dass ich schwer sagen kann: ‚Ich mache es nicht noch einmal genau so!‘“
"Auch wenn man viel investiert und sich bewährt, gibt es keine Garantie, dass es mit der Karriere klappt."
Ass.-Prof. Mag.phil. PhD Lisa Paleczek
+43 316 380 - 3660
Institut für Bildungsforschung und PädagogInnenbildung
Dienstag 13:00-14:00