„Ich möchte die Kreativität entmystifizieren“

Wie lässt sich Kreativität messen? Ist Künstliche Intelligenz kreativ? Sind kreative Menschen intelligenter als nicht kreative? Mathias Benedek, Mitglied im Cluster „Pluralität und Diversität“ und Keynotespeaker bei der EARLI 2025, geht in seiner Forschungsarbeit diesen und weiteren Fragen auf den Grund.
Für das Thema Kreativität fing Mathias Benedek bereits in seiner Masterarbeit Feuer. Damals befasste er sich mit der Aufgabe, ein Kreativitätstraining zu entwickeln. Dabei erkannte er große konzeptuelle Schwierigkeiten bei der Definition und Messung von Kreativität – Themen, die ihn nicht mehr losließen. Er setzte seine Arbeit im Doktorat in Kiel fort, wo er sich mit assoziativen Prozessen und Gedächtnisabruf beim kreativen Denken beschäftigte. Als Postdoc kehrte er nach Graz zurück und leitet seit 2023 als Assoziierter Professor die Arbeitsgruppe für Kreativität und Innovation am Institut für Psychologie der Universität Graz. Diese setzt sich mit den neurokognitiven Grundlagen von Kreativität auseinander, also mit der Frage, welche Prozesse am kreativen Denken beteiligt sind, aber auch mit den individuellen Unterschieden, also mit der Frage, welche Eigenschaften und Dispositionen kreatives Verhalten unterstützen. Weitere Forschungsschwerpunkte sind die Messung der Kreativität sowie der Einfluss digitaler Technologien wie der Künstlichen Intelligenz auf das kreative Verhalten von Menschen.
„Kreativität passiert dort, wo Menschen etwas Neues und Sinnhaftes in die Welt setzen, das für jemanden einen Wert hat.“
Doch was genau versteht man nun unter Kreativität? „Vereinfacht gesagt, passiert Kreativität dort, wo Menschen etwas Neues und Sinnhaftes in die Welt setzen, das für jemanden einen Wert hat. Ein kreativer Mensch ist demnach einer, der viel Zeit mit kreativen Aktivitäten verbringt oder einer, der viele kreative Ideen hat.“ Dabei reiche das Spektrum von Alltagskreativität über „creative professionals“ bis hin zu kreativen Genies. Dabei habe sich in den vergangenen Jahren der Fokus in der Forschung stark auf die Alltagsbevölkerung verlagert, um zu verstehen, wie kreative Ideen entstehen und wie sie Probleme lösen.
Dabei sei Kreativität nichts Mystisches, betont Mathias Benedek. Die Forschung zeige nämlich, dass sie sich gut eingrenzen lässt auf recht elementare kognitive und neurokognitive Prozesse wie Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Kontrolle. Deshalb sei es sein Anliegen, die Kreativität zu entmystifizieren. „Kreativität ist eine Grundausstattung, mit der jeder mehr oder weniger gut versehen ist. Die Prozesse dahinter sind eigentlich recht gewöhnlich, auch wenn die Ergebnisse oft außergewöhnlich erscheinen."
Und wie lässt sich Kreativität messen? Kreativitätstests unterscheiden sich von Intelligenztests, so Mathias Benedek, da es keine richtigen oder falschen Lösungen gibt, sondern originelle Antworten bewertet werden müssen. Eine klassische Aufgabe ist zum Beispiel sei die "Alternative Verwendungsmöglichkeiten Aufgabe", bei der Proband:innen ungewöhnliche Nutzungen für Alltagsgegenstände finden sollen – wie zum Beispiel für einen Ziegelstein oder für einen Autoreifen.
Die größte Herausforderung ist dabei die Bewertung der Qualität einer Idee.“ Während für diese Aufgabe traditionell menschliche Beurteiler:innen eingesetzt werden, eröffnen digitale Technologien wie die Künstliche Intelligenz neue Wege bei der Beurteilung.
Wichtig seien bei der Beurteilung der Kreativität aber auch Aspekte wie etwa die Freude am kreativen Zugang. „Selbst wenn ich ein hohes kreatives Potenzial habe: Wenn mich kreatives Arbeiten nicht interessiert, dann werde ich dieses Potenzial natürlich auch nicht nutzen.“ Auch die Selbstwirksamkeitserwartung spielt eine Rolle, also der Glaube an die eigene Fähigkeit, kreativ zu sein. „Menschen, die sich für unkreativ halten, entwickeln wahrscheinlich auch ihr kreatives Potenzial nicht weiter“, sagt Mathias Benedek.
„Menschen, die sich für unkreativ halten, entwickeln wahrscheinlich auch ihr kreatives Potenzial nicht weiter.“
Zwischen Kreativität und Intelligenz gebe es übrigens einen substanziellen Zusammenhang. „Intelligenzforscher sagen gerne, Kreativität sei ein Teil der Intelligenz, Kreativitätsforscher sagen gerne, Intelligenz sei ein Teil der Kreativität.“, sagt Mathias Benedek augenzwinkernd. „Elementare Intelligenzleistungen korrelieren zumindest positiv mit kreativen Denkleistungen – übrigens auch in Bezug auf kreative Lebensleistungen. Intelligenz ist hilfreich, aber hohe Intelligenz alleine sagt noch nicht hohe Kreativität vorher.“
Für besonders interessant befindet er, dass selbst einfache Intelligenzleistungen, wie die Effektivität des Gedächtnisabrufs, kreatives Denken gut vorhersagen können. „Obwohl Gedächtnisabruf unkreativ erscheint, ist er entscheidend für das effektive Zusammenfügen bestehender Wissenselemente. Kreatives Denken erfordert ein großes Wissen, die Fähigkeit zum effektiven Abruf und die Fähigkeit, dominante, bekannte Lösungswege zu unterdrücken.“ Verschiedene Facetten der Intelligenz sind somit wichtige Teilkomponenten der Kreativität.
„Kreatives Denken erfordert ein großes Wissen, die Fähigkeit zum effektiven Abruf und die Fähigkeit, dominante, bekannte Lösungswege zu unterdrücken.“
Was er sich wünschen würde? Dass Kreativität in der psychologischen Forschung und in den Bildungssystemen noch mehr an Präsenz gewinnt. „Kreativität wird oft in die Kunstfächer verlagert, obwohl sie eine problemlösende Fähigkeit ist, die in allen Fächern von der Mathematik über die Naturwissenschaften bis hin zu den Sprachen eine Rolle spielen kann. Dort ist Kreativität aber nicht verankert.“ Natürlich, so räumt er ein, sei es für Lehrkräfte herausfordernder, eine kreative Lösung gegenüber einer ‚richtigen‘ Lösung zu rechtfertigen, da die Bewertung einer richtigen oder falschen Antwort einfacher ist. Auch würden Studien zeigen, dass Lehrkräfte sich zwar kreative Schüler:innen wünschen, aber von kreativitätstypischen Merkmalen wie Nonkonformität oder Hinterfragen weniger begeistert seien. „Deshalbsehe ich es auch als meine Aufgabe an, die Kreativität stärker in den Bildungsbereich und auch in die Forschung zu integrieren. Vielleicht trägt meine Keynote bei der EARLI 2025 ja dazu bei“, sagt Mathias Benedek.
Ob er jemals auch andere Karrierewege als die Forschung in Betracht gezogen hat? „Ich habe immer alles auf eine Karte gesetzt und bin sehr froh, dass es funktioniert hat. Jetzt sehe ich meine Rolle darin, junge Kolleg:innen zu unterstützen. Es gibt viele tolle junge Leute im Feld, die das ebenso verdient hätten und Graz bietet einen guten Boden dafür!“
„Kreativität wird oft in die Kunstfächer verlagert, obwohl sie eine problemlösende Fähigkeit ist, die in allen Fächern eine Rolle spielen kann.“
