„Ich mag es, Fragen zu haben und Fragen beantworten zu können.“
Sind Mathematiker:innen von einem anderen Stern? Diese Frage hat Michaela Meier in ihrer Dissertation untersucht. In ihrer Forschung befasst sie sich außerdem damit, wie viel mathematische Kreativität Nicht-Genies zu Tage fördern.
Bei Kreativität denken die meisten Menschen an Kunst - an Literatur und an Musik, aber eher nicht an die Mathematik. Doch genau mit diesem Thema – der mathematischen Kreativität – beschäftigt sich Michaela Meier in ihrer Forschung im Arbeitsbereich Begabungsforschung am Institut für Psychologie an der Universität Graz. Dabei braucht man gar nicht Einsteins Mathematik-Level, um kreativ in Mathematik sein zu können – das klappt bereits auf Schulniveau, wie sie betont. Denn bei mathematischen Problemen gibt es zwar richtige und falsche Lösungen, aber eben oft auch mehrere richtige Wege zur Lösung: „Augenscheinliche, auf die man schnell kommt, und originellere“, erklärt Michaela Meier.
Michaela Meier ist im Forschungsnetzwerk Future Education Mitglied im Forschungscluster "Pluralität und Diversität".
So ist es unkreativ, den Sechser zu nennen, wenn es darum geht, Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Zahlen „16“ und „36“ zu finden. Kreativer ist es bereits, beide als Quadratzahlen zu identifizieren. „Die Frage ist: Welche Voraussetzungen brauche ich, um die Aufgabe kreativ zu lösen? Die zweite Antwort setzt mathematisches Wissen voraus – und Intelligenz, die in der Mathematik immer eine Rolle spielt.“ Umgekehrt bedeutet es aber nicht, dass man diese Antwort geben kann, selbst wenn man weiß, was Quadratzahlen sind.
Doch nicht nur die mathematische Kreativität erforscht Michaela Meier. Auch Konzeptentwicklung und Talententwicklung gehören zu ihren Schwerpunkten. Bei der Erforschung der Konzeptentwicklung geht es darum, herauszufinden, was zu einem späteren Zeitpunkt psychologisch gesehen mit Konzepten geschieht, die wir früh im Leben aufstellen. „Nicht alles, was wir als Kinder glauben, stellt sich im Lichte des später erworbenen Wissens als richtig heraus“, sagt sie. „Als Kind nehmen wir an, dass sich die Sonne um die Erde dreht, weil das das ist, was wir sehen und beobachten. Später lernen wir, dass es genau umgekehrt ist. Doch die frühen Konzepte verschwinden nicht einfach - sie sind immer noch vorhanden und interferieren.“
Besonders interessant findet sie, dass eine Studie gezeigt hat, dass sogar Mathematik-Studierende und Naturwissenschafts-Professor:innen gewissermaßen bei diesen naiven Konzepten bleiben. „Sie antworten zwar schneller als Nicht-Expert:innen, aber auch sie machen in diesem Zusammenhang Fehler.“ Für den Schulunterricht bedeute das etwa, dass das Bewusstmachen, dass es dieses Phänomen gibt, dabei helfen könne, Wissen aufzubauen.
„Als Kind nehmen wir an, dass sich die Sonne um die Erde dreht, weil das das ist, was wir sehen und beobachten. Später lernen wir, dass es genau umgekehrt ist. Doch die frühen Konzepte verschwinden nicht einfach - sie sind immer noch vorhanden und interferieren.“
Mit der Talententwicklung schließlich hat Michaela Meier sich im Rahmen ihrer Dissertation auseinandergesetzt. Dabei verglich sie Mathematiker:innen und Nicht-Mathematiker:innen hinsichtlich ihrer mathematischen Expertise. „Ich habe mir angeschaut, ob das eine andere Spezies ist“, sagt sie augenzwinkernd. „Also, ob es bei den allgemeinen kognitiven Fähigkeiten und bei der Persönlichkeit Unterschiede gibt.“ Dabei hat sich herausgestellt, dass die basis-numerischen Vorläuferfähigkeiten keine großen Unterschiede aufweisen, dass Mathematiker:innen jedoch ein größeres Interesse an der Materie aufweisen und dass ihre Einstellung gegenüber der Mathematik positiver ist als bei Nicht-Mathematiker:innen. „Gut in Mathe sind also einige, und auch über die kognitiven Fähigkeiten verfügen einige. Doch nur wenige von ihnen entscheiden sich tatsächlich für einen Berufsweg in Mathematik“, sagt Michaela Meier. „Die Frage ist: Was treibt letztere an, sich für die Mathematik zu entscheiden?“
Die Frage ist auch: Was treibt Michaela Meier an, all diese Themen zu erforschen? Dieser Berufsweg stand für sie nämlich ganz und gar nicht von Anfang an fest. Drei Fächer schafften es ursprünglich in ihre engere Studienauswahl: Medizin, Psychologie und Archäologie. „Für den Medizin-Aufnahmetest war ich zu spät dran, und das Archäologie-Studium bestand hauptsächlich aus griechisch-römischer Baugeschichte. Übrig blieb also die Psychologie.“
Der Weg zur klinischen Psychologin kam für sie nie in Frage, und so sei sie in ihre Forschungsthemen schließlich „hineingerutscht“, wie sie es ausdrückt. Bei ihrer Masterarbeit beschäftigte sie sich mit Begabungsforschung, und dann war zufällig genau zu diesem Zeitpunkt eine Doktoratsstelle ausgeschrieben. „Am Tag nach meiner Masterprüfung habe ich die Bewerbung abgeschickt. Das hat wunderbar gepasst.“ Denn bei ihrer Masterarbeit seien so viele Fragen offengeblieben, die sie gerne noch beantworten wollte. „Ich finde gerne Dinge heraus. Ich mag es, in einen Datensatz hineinzutauchen und zu schauen, was ich herausfinden kann. Ich mag es, Fragen zu haben und Fragen beantworten zu können.“
Die Frage, ob sie rückblickend nicht doch lieber Ärztin oder Archäologin geworden wäre, kann Michaela Meier jedenfalls klar beantworten: „Nein. Ich schaue immer noch gerne Dokus über Ausgrabungen, aber das Rumbuddeln könnte ich mir nicht vorstellen“, sagt sie und lacht. Und die Medizin komme allein schon aufgrund der enormen Verantwortung für sie aus heutiger Sicht nicht mehr in Frage. „An der Forschung finde ich attraktiv, diese Verantwortung nicht zu haben. Die Verantwortung über die Daten – damit kann ich gut umgehen! Und mit der Verantwortung für meine Studierenden auch. Sie sind schließlich alle schon erwachsen!“
Was es braucht, um eine gute Forscherin zu sein? „Den Willen, sich in ein Thema zu vertiefen.“ Eine Forschungskarriere anzustreben, würde sie aktuellen und zukünftigen Studierenden auf jeden Fall raten. „Aber nur, wenn es etwas ist, was man tatsächlich machen will!“ Sich selbst bezeichnet sie nämlich als „privilegiert“. „Ich habe einen super unterstützenden Vorgesetzten und ein super unterstützendes Arbeitsklima. Das ist nicht selbstverständlich.“