Projekt Sprachwechselkosten: Was geschieht mit mathematischem Wissen beim zweisprachigen Lernen?
Fachwissen in einer Fremdsprache zu lernen klingt im ersten Moment nach „zwei Fliegen auf einen Schlag“. Dieser Meinung sind immer mehr Schulen, welche im Zuge dessen ihr Angebot an Immersionsunterricht ausweiten. Doch bringt diese Unterrichtsform wirklich nur Vorteile mit sich? Dieser Frage widmet sich seit März 2023 ein Forschungsprojekt.
Mathematik auf Englisch zu lernen – das klingt nach einer Win-win-Situation für Sprecher:innen anderer Sprachen. Schüler:innen oder Studierende lernen beim sogenannten Immersionsunterricht (oder auch Content and Language Integrated Learning (CLIL)) die Fremdsprache nach den Prinzipien des Muttersprachenunterrichts quasi automatisch mit – so der Grundgedanke. Doch bisher wurde kaum erforscht, welche Nachteile diese Form des Unterrichts haben könnte.
„Wir wollen herausfinden, welches Wissen sprachabhängig gespeichert wird. Faktenwissen ist zum Beispiel sehr stark sprachabhängig. Bei anderen Bereichen dürfte das anders sein."
„Zweisprachiges Lernen, wie es beispielsweise bei Menschen mit migrantischer Herkunft erfolgt, wirkt sich zweifellos positiv auf die Fremdsprachenkenntnisse aus. Weniger klar ist allerdings, wie es sich auf die Inhalte auswirkt, die vermittelt werden“, sagt Roland H. Grabner vom Institut für Psychologie an der Universität Graz. Genau dieser Frage geht er seit März 2023 gemeinsam mit Henrik Saalbach von der Universität Leipzig im DFG-FWF-Forschungsprojekt „Sprachwechselkosten beim bilingualen Mathematiklernen“ auf den Grund.
Sprachwechselkosten
„Unter ‚Sprachwechselkosten‘ versteht man schlechtere Leistungen, wenn das gelernte Wissen in einer anderen Sprache abgerufen werden soll als in jener, in der es gelernt wurde. Derartige Sprachwechselkosten wurden bereits in mehreren Laborstudien gefunden.“, erklärt Grabner.
Das aktuelle Projekt verfolgt das Ziel, mehrere noch offene Fragen im Zusammenhang mit diesen Sprachwechselkosten zu klären. Insbesondere wird untersucht, wie stabil diese Kosten über die Zeit sind, wie sie sich auf nachfolgendes Lernen auswirken, welche kognitiven Mechanismen dahinterstehen und inwieweit sie mit individuellen Unterschieden, beispielsweise in der Fremdsprachenkompetenz zusammenhängen.
„Darüber hinaus wollen wir herausfinden, welches Wissen stark sprachabhängig gespeichert wird und entsprechend große Sprachwechselkosten aufweist.“
Während an der Universität Graz das Faktenwissen und das prozedurale Wissen in Form von Rechenoperationen beim arithmetischen Lernen an Erwachsenen untersucht werden sollen, steht an der Universität Leipzig die Untersuchung des prozeduralen Wissens und des konzeptuellen Wissens von Jugendlichen zum Thema Wahrscheinlichkeit im Vordergrund.
Je ein:e Doktorand:in und ein:e studentische:r wissenschaftliche:r Mitarbeiter:in werden in Graz und in Leipzig am Projekt mitarbeiten, das auf drei Jahre angelegt ist. In Graz sind dies Kevin Baumschlager (Doktorand) und Cornelia Pachner (studentische Mitarbeiterin).
Die ersten Erhebungen beginnen im Herbst 2023. Dafür werden übrigens 240 Studierende aller Fachrichtungen gesucht. Interessierte können sich ab sofort für diese Studie melden sowie weitere Informationen erhalten. Die Teilnahme an der Studie wird bezahlt.
Die Ergebnisse der Studie können direkt in die Fachdidaktik zurückfließen – vor allem in die Mathematik-Fachdidaktik, aber auch in die Fremdsprachen-Didaktik, und bieten daher neue Einsichten in die Effektivität des immer beliebter werdenden CLIL-Unterrichts.
Die Laborstudie wird als experimentelle Trainingsstudie in zwei Phasen stattfinden. In zwei Gruppen lernen die Proband:innen an mehreren Tagen mathematische Inhalte. In der ersten Studie zur zeitlichen Stabilität dieses Wissens wird das Wissen der Teilnehmer:innen jeweils nach einer Woche, nach einem Monat und nach drei Monaten erneut getestet. In einer zweiten Studie wird untersucht, wie sich das gelernte Wissen unmittelbar auf das nachfolgende Lernen auswirkt.
Laborstudien seien ein sehr kontrollierbarer Zugang zu dem Thema. „In der Praxis gibt es so viele Einflussfaktoren, wie den sozio-ökonomischen Hintergrund der Schüler:innen oder die Art und Weise, wie der zweisprachige Unterricht tatsächlich abgehalten wird. Dies führt zu Problemen bei der Messung der Sprachwechselkosten und deren Ursachen.“, betont Grabner.
„Wenn wir die Prozesse besser verstehen, die beim zweisprachigen Lernen stattfinden, und besser verstehen, welches Wissen sprachabhängig gespeichert wird, dann kann man in weiterer Folge den zweisprachigen Unterricht besser anpassen“
Projektteam
Univ.-Prof. Mag. Dr.rer.nat. Roland Grabner
Institut für Psychologie
http://psychologie.uni-graz.at/de/begabungsforschung/team/roland-h-grabner/